Aus dem Kapitel „Meds“
… Plötzlich kam mir meine Idee furchtbar dämlich vor. Mich durchchecken lassen. Im Kopf. Als ob das so einfach wäre wie ein Blutbild. Aber man legte mir ja auch nahe, mich freiwillig, von Zeit zu Zeit … und die resolute Frau auf der anderen Seite des Tisches war offensichtlich auch nicht bereit, mich ohne Geschichte wieder gehenzulassen.
„Hmm, wo soll ich anfangen …“
„Dann beginnen wir mit den Fragen, die ich habe. In Ordnung?“
„Okay.“„Haben Sie sich in den letzten zwei Wochen niedergeschlagen oder grundlos traurig gefühlt?“
„Soll das ein Witz sein?“
„Nein.“
„Natürlich, ich bin chronisch niedergeschlagen und traurig. Aber bestimmt nicht grundlos.“
„Was ist denn der Anlass für Ihre Traurigkeit?“
„Das weiß ich nicht. Es gibt Dinge, die mir egal sein sollten, es aber nicht sind.“
„Zum Beispiel?“
„Die Dummheit, die Gier, die Gehässigkeit …“
„Von wem?“
„Von allen. Von den Menschen allgemein.“
„Aha.“
„Müssen Sie mich nicht fragen, ob ich mich umbringen wollte?“
„Wollten Sie?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Bitte?“
Schweigen.
„Wegen der Anderen“, antwortete ich. „Sie würden dann ebenso traurig sein, wie ich es jetzt bin. Und außerdem will ich lieber in einer Euphorie draufgehen, als …“
„In einer Euphorie? Ich denke, Sie sind chronisch traurig?“
„Das ist die Basis, gewissermaßen. Die Mauer, hinter der sich Wut und Energie aufstauen. Und die kommen meistens unverhofft eruptiv zum Vorschein.“
„Eruptiv, hmm … Wie meinen Sie das?“
Ihre Distanziertheit ging mir auf den Wecker.
„Na, wenn ich beispielsweise ein tolles Lied höre, triggert mich das manchmal in eine Euphorie. Ich will mir dann nicht nur das Album kaufen, sondern auch die ganze Welt umarmen. Ich könnte lachen und heulen gleichzeitig. Oder, wenn ich etwas Kreatives mache, dann kann das besser sein als … Sex. Und kurze Zeit später kehrt sich das Gefühl wieder um. Dann sitze ich wieder in einer übergroßen, gläsernen Käseglocke und lausche meinem Blut.“
„Seit wann haben Sie solche euphorischen und traurigen Episoden?“
„Seit ich mich erinnern kann. Schon als Kind hatte ich häufig zu nichts Lust. Und wurde von meinen Eltern in diverse Freizeitaktivitäten regelrecht gedrängt. Später …“
Wollte ich wirklich vor dieser fremden, voyeuristischen Frau mein Leben ausbreiten?
„Ja, was war denn später?“
„Ach nichts.“
„Tun Sie manchmal Dinge, ohne über deren Konsequenzen nachzudenken?“
„Klar, ständig! No Risk, no Fun. Aber ich will nicht Fallschirmspringen oder Freeclimben, wenn Sie das meinen. Ich bin nicht lebensmüder als die meisten anderen, da bin ich fast schon ein Feigling.“
„Gehen Sie in manchen Lebenssituationen mehr Risiken ein als notwendig?“
„Das ist aber doch immer Ansichtssache!“
„Gehen Sie beispielsweise immer auf den letzten Drücker los, so dass Sie sich beeilen müssen, um die Bahn nicht zu verpassen?“
„Ich benutze keine öffentlichen Verkehrsmittel!“
„Warum nicht?“
„Ich bin doch nicht lebensmüde!“ Ich musste kichern.
„Wie meinen Sie das?“ Sie blieb kühl.
„Ehrlich? Ich ertrage den Dünnschiss nicht, der dort abgesondert wird. Außerdem verlängert das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel das Leiden in der Welt, weniger Abgase verzögern den Klimawandel.“ …