Synchronicity PT. 2
Frankfurt am Main 2021. Buchmesse. Die erste seit der Pandemie. Dass sie mit Publikum ist, muss man extra erwähnen. Sieht man nicht. Wenn ich einen Verlag hätte, wäre der nicht dabei, weil mir ein paar Tausend Euro für eine Butze in einer leeren Halle einfach zu teuer wären.
Jetzt boykottieren einige als Vorlesende angekündigte Autorinnen und Autoren medienwirksam die mehrere Quadratkilometer große Messe, weil ein paar Verlage daran teilnehmen, die sie dem neurechten Spektrum zuordnen. Manche rufen gar zum Boykott der ganzen Messe auf. Obskure Kleinverlage erstehen aus der Versenkung auf und behaupten jetzt, dass sie die Messe aus Überzeugung boykottiert haben. Und da wird auch mal Karl Popper bemüht und die Theorie vom Ende der Toleranz, weil die Nicht-Toleranten die Toleranten wegbeißen werden. Das ist keine Philosophie. Das ist eine langweilige Selbstverständlichkeit, wie „Wasser ist nass.“ Ebenso so, wie der Umstand, dass die Beißenden in diesem Bild am Ende die Intoleranten sind. Wer zuerst beißt, hat halt gewonnen.
Ich hab keine Ahnung, um wen es geht, Rubikon? Neuschwanstein-Verlag? Oder den mit der Frakturschrift, Frankfurter Allgemeine? I don´t know. Inzwischen ist diese Kiste mit dem Camouflage und dem Hakenkreuz drauf riesig. Viele, die da drinnen sind, wissen es noch gar nicht. Aber, hallo: Grundgesetz? Die Meinungsfreiheit? Worüber reden wir hier? Über Betriebe, die Dinge publizieren von Menschen, die WAS denken oder WO teilgenommen haben oder in WELCHER Organisation sind? Wo soll das enden? Wer soll denn entscheiden, was darf und was nicht?
Toleranz ist, Dinge zu erdulden, die man Scheiße findet. Und was haben wir nicht alles schon für gequirlte Scheiße in Buchform erdulden müssen? „EIN KOHL, EIN TEIG, EIN RÜHRER“, diese Kochbuchschwämme. Oder die Ghostwriterbiografien von Bohlen, Steinmeier, Bärbock, Bushido, Justin TinderGate oder HC Roth? (Scherz, letzterer hat seine Bio selbst geschrieben.)
Religiöse Kinderbücher, Männer sind Schweine, Heim und Herd und Hingabe, Aufreißen für Zurückgebliebene (Sachbücher für Männer aus dem Osten), Der verklemmte, vegane Vampir, Huckleberry Fin (jetzt mit unversichert Beschäftigten People of Color mit Migrationshintergrund), Dinosaueriersexbücher, Wünsche ans Universum, Lebe Deinen Traum, Kalendersprüche aus Tibet, Dalai Lama, Al Paka Zucht auf dem Balkon, Urbane Bienen, Die wandernden Sexarbeiterinnen aus dem Mittelalter oder Wer sieben Nullen auf dem Konto hat, darf Frauen verprügeln. Und alle, die einigermaßen hüpfen konnten, sind auf diese Trends aufgesprungen. Das meiste davon haben sie der Mehrheit der des Lesens noch Mächtigen, also den Frauen, auch noch als Feminismus verkauft. Ich hatte regelmäßig Feuchtgebiete um die Augen.
Keiner beschwert sich über die hochsubventionierten Verlage, welche die immergleichen demokratie- und lebensverachtenden Schund-Bücher in der aberhundertsten Auflage feilbieten wie Bibel, Koran und Der kleine Prinz! (Monarchie- und Suizidverherrlichung … sorry, aber mit dieser Provokation ist es kein Whataboutism…)
Whatever.
So lange jemand nicht gegen geltendes Recht verstößt, kann und sollte man ihn nicht ausschließen. Von was auch immer. Natürlich hat die Messe ein Hausrecht. Das könnte sie anwenden. Die Grenze zur Zensur ist da aber fließend. Besonders bei Veranstaltungen dieser Größe.
Wenn ich als öffentlicher Veranstalter eine Zutrittsverweigerung falsch begründe, bekomme ich deshalb auch mit dem Gesetz Probleme. Herkunft, Aussehen, Geschlecht darf ich nicht angeben. Was ich als Hausrecht-Ausüber Scheiße finde, denn mir kann eine Gang japanischer Jugendlicher drei Mal die Einrichtung demolieren. Ich darf auch dann laut Gesetz niemanden draußen lassen, nur weil er Japaner ist oder asiatisch aussieht … Also erfindet man einen Dresscode. (Deswegen haben wir jetzt diese ganzen japanischen Jungs in Strapse und Tütüt.) Wenn die Frankfurter Buchmesse das machen würde, gäbe es da auch eine Cosplay-Halle, aber dann halt mit Menschen in Uniform.
Anyway.
Wir haben Gesetze, insbesondere ein Grundgesetz. Da steht auch drinnen, dass eine Zensur nicht stattfindet. Aber eben auch, dass niemand wegen seiner Glauberitis, Meinung, Gesundheit, Krankheit, Herkunft, seines Aussehens, Geschlechts, seiner sexueller Orientierung, seines Kontostands, wegen seiner Essgewohnheiten, Laster, PKWs, etc. pp. diskriminiert werden darf, er, sie oder es tun und lassen kann, was er, sie oder es will, es sei denn, es verstößt gegen der, die oder das Grundgesetz. Verstößt jemand gegen geltendes Recht, kannst Du ihn bestrafen und Dinge verbieten. Das ist klar geregelt.
In unserem Land darfst Du den Holocaust nicht leugnen, keinen Antisemitismus verbreiten, es sei denn aus religiösen Motiven. (Also die Katholen und die Muslime dürfen schon, aber nur ein bisschen…, die dürfen aber auch behaupten, dass sie die einzig wahre Herrenreligion sind, wobei Herrenreligion ja stimmt, nur eben in einem anderen Sinn.) Aber Du darfst nicht zu Gewalt aufrufen und auch nicht das Grundgesetz und/oder den Staat und/oder seine Grundordnung in Frage stellen. Klar ist aber auch, dass Du Bücher schreiben darfst, auch wenn Du ein reaktionäres, chauvinistisches Arschloch bist, dass böse Protagonisten nicht gendern dürfen und fluchen müssen und dass Du mehr darfst als Künstler, denn als Politiker. Ich darf mich auf eine Bühne stellen und mit ausgestrecktem Arm „Satire macht frei“ brüllen. Danach bricht zwar mein Netzwerk zusammen, keiner kauft mehr meine Bücher, oder halt nur noch die Rechten… Aber ich darf das. Und ich darf dafür nicht belangt werden.
Du kannst Dich als Politiker aber nicht in den Bundestag stellen, zum Sturm aufs Kanzleramt aufrufen und Dich auf die Satirefreiheit berufen, außer Du heißt Donald Trump.
Geht es dabei um seinen Arsch, dann reagiert der Staat auch sehr empfindlich. Und Du darfst ruhig auch ein bisschen sauer sein, wenn der Staat nicht genauso empfindlich reagiert, wenn es um Deinen Arsch geht. Wenn Du aber jede Sanktion oder jeden Aufruf zu Sanktionen geil findest, solange Du nicht ausgeschlossen wirst, ist es nur eine Frage der Zeit, dass auch Du zum Opfer wirst. Was kommt nach der Separation von Rechts und Links? Veganer vs. Fleischfresser, Autofahrer vs. Öffibenutzer … Geimpft vs. … ok, das haben wir schon, … oder halt „Menschen, die vielleicht andere ausgrenzen wollen, kommen hier nicht rein.“ Wenn ich da konsequent bin, bleibt die Halle leer.
Wir haben da feste Grenzen. Die gelten für alle. Werden die überschritten … Verbot, Verfassungsschutz, Knast und Folter und Pranger … außer es verstößt gegen das Grundgesetz. Das gilt nämlich bei uns sogar für Verbrecherinnen und Verbrecher. (Verbrechende fand ich jetzt widersprüchlich,)
Mir geht diese mehrstöckige Moral unserer sogenannten Gesellschaft mittlerweile extrem auf den Geist. Diese Selbstgerechtigkeit, dieses ständige Rumgeheule, das sogenannte Framing, das immer nur dann Framing ist, wenn es die Anderen machen, diese permanente Erregtheit, wenn jemand vom anderen Ende des Teiches mal angeschwommen kommt. Mittlerweile werde ich ja schon beschimpft, wenn ich Menschen kenne, die Menschen kennen, die eine andere Meinung haben, als die Beschimpfenden.
Cancel Culture ist Aufruf zur Zensur. In diesem Fall sogar ein Aufruf von unten. Es gibt ja Menschen, die behaupten, Zensur ginge nur vom Staat aus und das, was Google und Facebook gerade mit unseren Nippeln und Pandemiemaßnahmenkritisierern machen, wäre keine. Dann nennt es halt Verleumdung oder Beschneidung. Das macht es auch nicht besser. Und es endet, mit oder ohne Popper, in einem Desaster. Denn jeder gehört zu mindestens einer Minderheit, und die muss nicht zwangsläufig eklig und weiß sein. Wenn Konsens und Sympathie die Voraussetzung für Duldung ist, endet das in einem Krieg. Wenn Empörung alles ist, was Du gegen andere Sichtweisen aufbringen kannst, wirst Du ihn verlieren.
Also, wenn ich einen Verlag hätte, würde ich den Kollegas für die Super-Begründung danken und jetzt auch einfach sagen, dass wir die FBM 21 boykottiert haben und dann suhlen wir uns ein bisschen mit in diesem lauwarmen Gefühl, zu den Guten zu gehören.